„Sport ist Mord“, hören ambitionierte Sportlerinnen und Sportler immer wieder. Das ist natürlich nicht korrekt und es steht außer Frage, dass Sport ganz allgemein in höchstem Maße gesund ist.
Gelegentlich kommt es jedoch auch bei den schönsten Sportarten zu Verletzungen. Stolpert man beim Laufen und bricht sich einen Fuß, so ist das ärgerlich, jedoch in der Regel nur die Konsequenz des eigenen Handelns – der Fuß wurde nicht über ein Hindernis gehoben. Anders liegt es beim Sporttreiben in der Gruppe – so wie häufig beim Radfahren, insbesondere beim Rennradfahren. Die Nähe zueinander ist dabei groß, das Tempo hoch, die Verletzungen und Schäden sind häufig gravierend. Doch wie sieht es eigentlich mit der Haftung in diesen Fällen aus?
Der Grundsatz des sogenannten deliktischen Schadensersatzrechts lautet gemäß § 823 Abs. 1 BGB, dass eine vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Konkretisiert wird das Schadensersatzrecht im Straßenverkehr durch Spezialregelungen. Grundsätzlich ist das deutsche Rechtssystem abstrakt formuliert. Die Anwendung auf konkrete Einzelfälle ist Sache der Gerichte. Aus diesem Grund ist im Gesetz keine Regelung zur Haftung von Radfahrern zu finden – wohl aber in der Rechtsprechung. Die Frage der Haftung bei gemeinsamer sportlicher Betätigung ist seit Jahrzehnten Gegenstand verschiedener gerichtlicher Verfahren, deren Substrat hier zusammengefasst werden soll.
Bereits mit einem Urteil aus dem Jahr 1993 entschied das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken, dass auch bei einer gemeinsamen Rennrad-Trainingsfahrt mit sportlichem Charakter besondere Haftungsgrundsätze gelten. Diese Haftungsgrundsätze hatte der Bundesgerichtshof (BGH) zuvor bereits für andere Spotarten entwickelt, beispielsweise für Basketball und Fußball. Demnach scheidet eine Haftung aus, wenn es trotz grundsätzlich regelgerechten Verhaltens der Beteiligten zu Verletzungen kommt, auch wenn geringfügig von den Regeln abgewichen wird. Begründet wird dies damit, dass bei einer abstrakt gefährlichen Sportausübung alle Teilnehmer einvernehmlich in Kauf nehmen, dass es wegen der besonderen Gefährlichkeit der Aktivität zu Verletzungen kommen kann. So liegt es beispielsweise auch bei dem gesteigerten Gefahrenpotential des gemeinsamen Windschattenfahrens. Das OLG entschied, dass es gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoße, wenn der Verletzte den Schädiger in Anspruch nehmen möchte, obgleich er ebenso gut selbst in die Lage hätte kommen können, in der sich nun der Schädiger befindet. Grund dafür sei, dass es in diesen Fällen lediglich vom Zufall abhänge, bei wem sich die akute Gefahr (eines Sturzes – der auch ein schlichtes Umfallen sein kann) realisiere.
Das OLG Stuttgart bestätigte im Jahr 2007 diese Grundsätze bezüglich einer Radtouristikfahrt (RTF), soweit nicht eine Verletzung der (geschriebenen und ungeschriebenen) sportlichen Regeln nachweisbar ist. Wenn das Abstandsgebot der Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht eingehalten wurde, begründe dies für sich allein keine Haftung des Unfallverursachers, da gerade dies unter den Teilnehmern einvernehmlich geschehe.
Eingeschränkt wurde die genannte Rechtsprechung im Jahr 2008 durch ein Urteil des BGH. Demnach sind die oben genannten Grundsätze insoweit nicht anwendbar, wie der Schädiger Versicherungsschutz genießt. Sind die bestehenden Risiken durch eine Haftpflichtversicherung gedeckt, bestehe weder ein Grund für die Annahme, die Teilnehmer wollten gegenseitig auf etwaige Schadensersatzansprüche verzichten, noch erscheine es als treuwidrig, dass der Geschädigte den durch die Versicherung gedeckten Schaden geltend macht.
Im Jahr 2015 kam das Amtsgericht Nordhorn in einem vergleichbaren Fall zu demselben Ergebnis wie bereits 22 Jahre zuvor das OLG Zweibrücken, begründete dies jedoch mit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Geschädigten. Diese sei als Mitverschulden zu werten (wegen der Teilnahme an sich sowie wegen des gemeinschaftlichen Windschattenfahrens) und lasse die Haftung des Schädigers entfallen.
Trotz unterschiedlicher Begründungsansätze ist den aufgeführten Urteilen eines gemein: den Schädigern konnte kein gravierender Regelverstoß nachgewiesen werden, sodass davon ausgegangen werden musste, dass sich in den zugrundeliegenden Fällen stets das typische Risiko der Trainingsausfahrten realisiert hatte.
Mit einem Urteil aus dem Januar 2019 konkretisierte das Landgericht (LG) Frankfurt am Main einen solchen Regelverstoß. In diesem Fall überholte ein Teilnehmer einer Trainingsfahrt den vor ihm fahrenden Fahrer mit einem Abstand von lediglich einer Lenkerbreite (ca. 44 cm), als die Gruppe sich in einer „ruhigen Phase der Ausfahrt“ auf einem schmalen Radweg befand. Dabei geriet der Schädiger auf das geschotterte Bankett und kollidierte sodann mit dem zu überholenden Fahrer. Es stürzten in der Folge mehrere Fahrerinnen und Fahrer, einer von ihnen wurde schwer verletzt. Das LG betrachtete ein solches Manöver als grob fahrlässige Regelverletzung und bejahte daher die Haftung des Unfallverursachers. Mit dem Fall setzte sich im Rahmen des Berufungsverfahrens auch das OLG Frankfurt am Main in seinem Urteil aus dem März 2020 auseinander. Das OLG bestätigte die Entscheidung des LG und führte ergänzend aus, dass die Teilnehmer sich in einer solchen Phase einer Ausfahrt gerade nicht dem typischen Risiko des Windschattenfahrens, welches mit engem Überholen einhergehe, aussetzten und deshalb auch nicht mit gefährlichem Verhalten anderer Teilnehmer rechnen müssten. Die einvernehmliche Haftungsbeschränkung unter den Teilnehmern werde in diesen Fällen folglich eingeschränkt, sodass bereits weniger gravierende Regelverstöße eine Haftung begründen könnten – so auch im zu entscheidenden Fall.
Das hier beschriebene jüngste Urteil in diesem Themengebiet bringt aus juristischer Sicht keine grundlegenden Neuigkeiten mit sich. Den Protagonisten der einschlägigen Sportarten sollte jedoch die Rechtslage bewusst sein. Mit der Teilnahme an gemeinsamen Rennrad-Trainingsfahrten und vergleichbaren Veranstaltungen wird stets ein Risiko eingegangen, dessen Folgen die oder der Verletzte – auch ohne Verschuldensanteil – unter Umständen vollständig selber zu tragen hat. „Narrenfreiheit“ herrscht jedoch keinesfalls; wer das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme oder die gemeinsamen Regeln grob fahrlässig verletzt, sieht sich gegebenenfalls mit den Haftungsansprüchen der Trainingspartnerinnen und -partner konfrontiert. Eine solche grobe Fahrlässigkeit kann übrigens auch in der Teilnahme an einer Trainingsfahrt mit schlecht gewartetem und damit nicht verkehrssicherem Material gesehen werden.