Wegerecht aus Gewohnheit?

Ein Wegerecht – also das Recht einer Person, das Grundstück einer anderen Person im vereinbarten Umfang zu nutzen (zu betreten oder zu befahren) – ist weit verbreitet und kann dem Grunde nach als juristisches Alltagsgeschäft bezeichnet werden.

Als Gewohnheitsrecht wird von der Rechtsprechung solches Recht bezeichnet, welches durch eine dauernde, ständige, gleichmäßige, allgemeine und längere tatsächliche Übung entsteht und von einer Vielzahl von Rechtsindividuen – also Personen – als verbindlich anerkannt wird. Die Anforderungen für das Entstehen eines Gewohnheitsrechts sind folglich hoch.

In einem spannenden Fall hatte der Bundesgerichtshof (BGH) zuletzt zu entscheiden, wie diese beiden Rechtsinstitute (Wege- und Gewohnheitsrecht) miteinander harmonieren.

Die Kläger waren Eigentümer mehrerer zusammenhängender und auch zusammenhängend bebauter Wohngrundstücke, welche auf der Rückseite mit (baurechtlich nicht genehmigten und nicht genehmigungsfähigen) Garagen versehen waren, die zu erreichen nur über das Grundstück des Beklagten möglich war. In den vergangenen dreißig Jahren war es den Klägern stets durch die vorherigen Eigentümer sowie durch den Beklagten erlaubt worden, das Grundstück des Beklagten zu befahren, um so an die Garagen heranzukommen und diese nutzen zu können. Diese Erlaubnis widerrief der Beklagte mit Wirkung zum Ende des Jahres 2016 und begann sodann mit dem Bau einer Toranlage.

Die Kläger setzten sich dagegen juristisch zur Wehr und erhielten mit ihrer Forderung in erster und zweiter Instanz Recht – unter Verweis auf ein zu Gunsten der Kläger bestehendes gewohnheitsrechtliches Wegerecht.

Der BGH stellte sich diesen Urteilen entgegen und führte aus, dass ein Gewohnheitsrecht nur dann entstehen kann, wenn es allgemeiner Natur sei, sich also auf eine Vielzahl von Rechtssubjekten und Rechtsverhältnissen beziehe. Ein Gewohnheitsrecht könne hingegen nicht zwischen zwei oder mehr Individualparteien entstehen. Im vorliegenden Fall stünden den Klägern somit nur die Institute des schuldrechtlichen Wegerechts oder des Notwegerechts gem. § 917 BGB zur Seite. Ein Notwegerecht besteht dann, wenn für den Berechtigten untragbare Nachteile entstünden, wenn er das Grundstück des Dritten nicht nutzen könnte. Dass ein solches Notwegerecht besteht, ist hier jedoch unwahrscheinlich, da die Nutzung der Garagen lediglich privater Natur ist und die Garagen überdies nicht genehmigte Bauten darstellen.

Für die Kläger stellt dies ein unschönes Ergebnis dar, da sie nun möglicherweise (die Sache wurde an das Oberlandesgericht (OLG) zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen), ihre Garagen nicht mehr mit dem Auto werden erreichen können. Konsequent ist das Ergebnis dennoch. Ein Notwegerecht ist im BGB gerade dafür enthalten, um unfaire Ergebnisse zu vermeiden. Wenn ein solches nicht greift, gibt es keinen Anlass dafür, das enge Institut des Gewohnheitsrechts so weit auszuhöhlen, dass es auch auf Individualverhältnisse anwendbar werden würde.

Was bedeutet das für Sie? Die Antwort ist hier einfach: Es sollten schon dann, wenn Rechtsverhältnisse zu Dritten begründet werden, alle Weichen dafür gestellt werden, dass Nutzungsrechte, Wegerechte oder sonstige Rechte gegenüber Dritten begründet werden. Werden solche Fragen vor Vertragsschluss geklärt, so können sie frei gestaltet werden. Nach Vertragsschluss ist man hingegen häufig auf den guten Willen Dritter angewiesen, was die eigene Verhandlungsposition massiv schwächt.